Können auch Introvertierte gut vor anderen sprechen?

 
 

Sicher hast du sie auch schon beobachtet: Diese Menschen, die gerne auf der Bühne stehen und sich im Scheinwerferlicht einfach nur wohlfühlen. Sie ergreifen jede Möglichkeit, öffentlich ihre Meinung zu sagen oder wirken bei Vorträgen so, als würde ihnen all das wirklich Spaß machen.

Oder Menschen, die mit allen leicht ins Gespräch kommen – und allein einen ganzen Raum unterhalten können. Menschen, die für das Sprechen vor anderen geboren zu sein scheinen. Vielleicht hast du dir schon gedacht: „Hach, die sind ganz schön extrovertiert: So gesprächig, aktiv und laut …“

 

Introvertiert: Glücklich außerhalb des Scheinwerferlichts

Du hingegen – du bist vielleicht eher still und kannst gut für dich sein. Du fühlst dich nicht so wohl, wenn alle Augen auf dir ruhen und wenn du vor vielen Menschen sprechen sollst.

Du brauchst das Scheinwerferlicht nicht – du meidest es sogar eher, im Mittelpunkt zu stehen. Und wenn du es doch tust, bist du mitunter sehr nervös und das Herz klopft dir bis zum Hals.

Wenn du die Wahl hast, deine Meinung mündlich oder schriftlich kundzutun, dann wählst du die Schriftform. Oft hörst du von anderen, dass du ruhig, zurückhaltend oder sogar schüchtern wirkst. Dann denkst du: „Ja, klar, ich bin eben eher introvertiert.“

Auch für Introvertierte gehört das öffentliche Sprechen oft zum Job.

Doch selbst wenn du sie nicht aktiv suchst – auch du stehst immer wieder vor Situationen, bei denen du vor anderen sprechen musst. Wöchentliche Meetings und Kundenpräsentationen gehören zu deinem Job. Dir ist bewusst, dass du es nicht immer ganz kurz und knapp halten kannst mit deinen Statements und dass du nicht immer die lauten Kolleg:innen vorschicken kannst.

Oder du möchtest dein Wissen als Expertin weitergeben und willst auf die Vortragsanfragen und die Einladungen zu Podiumsdiskussionen endlich mal mit ‚Ja, gerne!‘ antworten.

In dir drin geistern jedoch Sätze herum, wie: „Ich kann mich einfach nicht gut verkaufen“ oder „So vor anderen sprechen – das ist einfach nichts für mich …“ oder „Das wäre so schön, wenn das Interview die Kollegin machen würde.

 

Vor anderen sprechen - oder still in der Ecke sitzen: Ein Widerspruch?

Viele introvertierte Menschen denken, dass sie für das Sprechen vor anderen einfach ‚nicht gemacht‘ sind. So, als wären das zwei Dinge, die sich notwendigerweise widersprechen: Das öffentliche Vortragen – und die Tendenz, lieber still für sich zu bleiben.

Doch ist es wirklich ein Widerspruch?

Ich denke, dass beides möglich ist.

Auch Introvertierte können erfolgreich und mitreißend vor anderen sprechen.

Du kannst erfolgreich vor anderen sprechen, mitreißend deine Expertise teilen und auch in Diskussionen punkten.

Und gleichzeitig kannst du eine introvertierte Person sein, die im persönlichen Kontakt auch mal zurückhaltend ist und es bevorzugt, die ‚inneren Batterien‘ lieber allein für sich aufzuladen.

Im Folgenden erfährst du, wie sich introvertiert-sein auf das öffentliche Sprechen auswirkt und was du tun kannst, um auch als introvertierte Person gut und sicher vor anderen zu sprechen.

Introvertierte tanken durchs Allein-Sein und im tiefen Gespräch auf.

Wenn du introvertiert bist, dann ziehst du deine Energie wahrscheinlich eher aus dem Alleinsein, als aus der Interaktion mit vielen Menschen. Wenn du am Samstagabend die Wahl hast, mit einer Gruppe von Leuten in den Club zu gehen – oder mit deiner besten Freundin gemütlich am Sofa einen Wein zu trinken, wählst du letzteres.

Du bevorzugst wirklich tiefe Gespräche mit Leuten, die dir nah sind – anstatt dich oberflächlich mit Fremden zu unterhalten. Viele Introvertierte, die zu mir ins Rhetoriktraining kommen, formulieren es so: Smalltalk mag ich überhaupt nicht.“

 

Stärken von introvertierten Menschen in der Kommunikation

Blicken wir nun auf die Stärken von eher introvertierten Personen.

Das ist wichtig, weil gerade Introvertierte sich oft wünschen, ‚mehr aus sich raus‘ zu gehen – und dabei erstmal übersehen, was schon alles da ist und welche Kraft sie in die Kommunikation einbringen.

Wenn du introvertiert bist, tendierst du wahrscheinlich dazu, wirklich tief über die Dinge nachzudenken. Das führt auch dazu, dass du überlegst, bevor du sprichst: So kannst du deine Gedanken und Gefühle oft sehr gut auf den Punkt bringen.

Genau zuhören und hohe Empathie

Höchstwahrscheinlich bist du auch eine ausgezeichnete Zuhörerin: Du nimmst dir Zeit, um anderen im Gespräch dein volles Ohr zu schenken – und so fühlen sich andere mit ihren Bedürfnissen und Ansichten oft sehr gut von dir verstanden.

Durch diese hohe Empathiefähigkeit fällt es dir leicht, tiefe emotionale Verbindungen zu anderen Menschen aufzubauen.

Authentisch verbunden im Zweiergespräch

Als eher introvertierte Persönlichkeit hegst du eine Abneigung dagegen, dich zu verstellen. Persönliche Authentizität ist dir wichtig und du willst nicht nur so tun, ‚als ob‘. Das führt oft zu sehr ehrlichen und verbindenden Gesprächen.

Dein angestammtes Metier ist denn auch das Einzelgespräch: Wenn du deinen ganzen Fokus im Gespräch auf nur eine andere Person richten kannst, erzielst du oft die besten Ergebnisse und bist am zufriedensten.

 

Was brauchst du, um als introvertierte Person sicher vor anderen zu sprechen?

Doch auch wenn du eher introvertiert bist und dich im Zweiergespräch am wohlsten fühlst, kannst du sehr gut und sicher vor Gruppen sprechen. Denn bei Introversion oder Extraversion geht es immer nur um Persönlichkeitstendenzen und ja, auch um Präferenzen.

Niemand ist komplett introvertiert oder extravertiert: Die allermeisten Menschen befinden sich irgendwo dazwischen – und natürlich spielen auch immer situative Faktoren da mit rein.

Deswegen ist die Frage nicht, was du tun kannst, um extravertierter zu werden – sondern was du brauchst, um auch als introvertierte Person gut vor anderen zu sprechen und dabei vielleicht sogar Freude zu entwickeln.

 

5 Tipps für Introvertierte rund ums öffentliche Sprechen

Hier kommen 5 Tipps, wie du auch als introvertierte Person gut vor Publikum sprechen kannst.

  1. Investiere Zeit in die Redevorbereitung.

Gerade, wenn du über ein paar innere Hürden springen musst, um vor anderen zu sprechen, bereite dich gut vor. Alles wird leichter, wenn du dir deine Gedanken zurechtlegst, sie in eine Struktur bringst und deinen Sprechbeitrag genau planst.

Denn dann kannst du dich als introvertierte Person beim öffentlichen Sprechen mehr auf die Interaktion mit den anderen Menschen konzentrieren, und musst nicht gleichzeitig deine Gedanken neu sprechdenkend entwickeln.

Zeit, um die Gedanken zurechtzulegen und Ressourcen zu aktivieren

Viele introvertierte Menschen stellen im Rhetoriktraining fest, dass es ihnen viel leichter fällt, sich an Diskussionen zu beteiligen und Vorträge zuzusagen, wenn sie sich vorher diese innere ‚Gedanken-Zeit‘ nehmen.

Rede-Planung und aktives Aussprechen sind dann angenehm voneinander getrennt, für alles gibt es genügend Kapazitäten – und deswegen wird das Erfolgserlebnis danach auch gleich greifbarer.

 

2. Übe deinen Sprechbeitrag vorher.

Eine weitere Möglichkeit, den Moment des öffentlichen Sprechens besser zu bewältigen, ist die Übungsphase vorher. Es ist gut und okay eine Rede, einen Vortrag oder auch ein wichtiges Statement in einer Verhandlungssituation vorher zu üben. Durch das Aussprechen steigt die Sicherheit.

Die exponierte Situation durch Übung besser meistern.

So kannst du dann in der Live-Situation die Aufregung besser managen – weil du ja weißt, dass du das alles schon mal geübt hast und gut durchgekommen bist.

Auch hier werden dadurch wieder Kapazitäten frei, um dich auf die Verbindung zu deinem Publikum zu konzentrieren und die Redesituation aktiv zu gestalten.

 

3. Visualisiere deinen Erfolg vor Gruppen.

Gerade, wenn du eher auf der introvertierten Seite bist, hast du wahrscheinlich viele Erinnerungen an schöne Zweiergespräche – aber möglicherweise eine überschaubare Anzahl an erfolgreichen Redeerfahrungen vor Gruppen.

Hier kannst du auch bereits in der Vorbereitung einiges machen: Stell dir die Sprechsituation vor der Gruppe genau und in den buntesten Farben vor; visualisiere sie ganz bewusst.

Und damit meine ich natürlich nicht, dass du dir vorstellen sollst, was alles schief gehen könnte, sondern natürlich den Erfolg. Also wie du flüssig redest, Spaß dabei hast, in begeisterte Gesichter guckst und nachher in dem Applaus so richtig badest.

Dein Gehirn kann nicht unterscheiden, ob es sich um eine reale oder eine vorgestellte Situation handelt. Auf Horror-Szenarien reagiert es mit Stress; auf positive Vorstellungen mit Endorphin-Ausschüttung.

Male dir deinen Auftritt in bunten Farben aus, mit Fokus auf das Positive.

Nimm dir Zeit für deine bunte, positive Visualisierung.

Stell dir die kommende Rede-Situation genau vor: Was siehst du alles? Was kannst du hören? Was fühlst du? Was riechst und schmeckst du? Geh am besten alle Sinneskanäle durch und benenne deine Vorstellungen klar.

„Ich sehe freudige, neugierige, offene Gesichter. / Ich sehe meine Powerpoint-Präsentation, die wirklich toll aussieht. / Ich höre das Geraschel der Notizbücher meines Publikums. / Ich höre meinen ruhigen Atem. / Ich fühle meinen Kaschmir-Pullover, der mich so angenehm warm umhüllt. / Ich rieche den Kaffeeduft, der von der Pausenfläche hereinweht. / Ich schmecke den Schluck Wasser, den ich gerade noch getrunken habe.“

 

 4. Konzentriere dich auf deinen Inhalt und die Verbindung zu anderen.

Als Introvertierte fällt dir tiefes Nachdenken und genaues Reflektieren besonders leicht. Rund ums öffentliche Sprechen vor anderen ist es jedoch nicht immer sinnvoll, alles ganz genau durchzudenken – vor allem nicht dann, wenn du dazu tendierst, dir negative Gedanken über deine Performance zu machen.

Du kannst nicht alles kontrollieren – schon gar nicht, was die anderen Menschen über dich denken mögen, wenn du sprichst. Und, ganz ehrlich: It’s none of your business. Was andere Menschen über dich denken, geht dich nichts an.

Du kannst nicht alles kontrollieren, aber du hast eine Verantwortung.

Wofür du jedoch die Verantwortung hast bei einem Vortrag, das sind deine Inhalte: Dass du das Thema einfach in all seinen Facetten am Schirm hast und gut darüber sprechen kannst. Und dann bist du natürlich noch verantwortlich für deine Beziehung zum Publikum: Dass sie dich gut verstehen und wirklich etwas aus deinem Vortrag mitnehmen können.

Blende aus, was alles schief gehen könnte und was andere über dich denken mögen – und fokussiere dich auf das, worüber du sprichst und wie du es den anderen Menschen im Saal nahebringst.

 

 5. Akzeptiere, dass du introvertiert bist – und sprich dennoch.

Es ist in Ordnung, dass du introvertiert bist, dass du eher ruhig und nachdenklich unterwegs bist. Du hast deine eigenen Stärken – und deine Vorlieben, wie du mit anderen in Verbindung trittst.

Nicht jede Person muss ein ‚Bühnenpony‘ sein. Gerade dadurch, dass wir alle unterschiedlich sind und ganz eigene Energien auf die Bühne, aufs Podium, in den Meetingraum mitbringen, können wir alle voneinander profitieren.

Komm in deinem Tempo aus deiner Komfortzone heraus.

Versuch also nicht, so zu werden, wie ‚die anderen‘, wie die Extravertierten.

Hör in dich hinein, wo deine Stärken liegen und für welche Themen du wirklich brennst. Finde eine Form, wie du dich bei einem Vortrag oder in einem Gespräch ausdrücken kannst, sodass es dir gut geht und du dich wohlfühlst.

Wichtig ist, dass du trotz deiner Introversion sprichst – in den Situationen, in denen es wirklich darauf ankommt. Versuch, dich zu zeigen und die Chancen zum öffentlichen Sprechen anzunehmen, die sich dir präsentieren. Das darf am Anfang total innerhalb deiner Komfortzone sein.

Als introvertierte Person ‘JA’ zu den Chancen sagen, öffentlich zu sprechen.

100 Personen bei einem Vortrag sind dir noch zu viel?
Okay, wo kannst du vor 30 Personen sprechen?

Deine Chefin will, dass du demnächst das große Workshop-Format von ihr übernimmst und das ist dir noch zu viel?
Gut – wo kannst du inzwischen einen ganz kleinen Workshop leiten, um Selbstvertrauen aufzubauen?

 

Auch wenn du introvertiert bist: Mit jedem Schritt nach außen gewinnst du an Erfahrung & Sicherheit.

Du wirst sehen: Du wächst mit deinen Aufgaben – und mit den Herausforderungen, die du gemeistert hast. Fordere dich selbst immer noch ein Stückchen mehr heraus, deinen Radius auszudehnen.

Denn auch wenn deine Persönlichkeitstendenz immer noch in Richtung Introversion zeigt, wirst du mit jedem Schritt nach außen immer mehr Erfahrung und Selbstsicherheit sammeln.

Auch wenn du introvertiert bist, kannst du gut und erfolgreich vor anderen sprechen.