Netz-Funde 05

 
 

Genau heute vor einem Jahr habe ich meine 2. Netz-Funde veröffentlicht: am 11.10.2017, dem Internationalen Mädchentag. Dieser Tag wird nach einer Initiative von ‘Plan International’ seit 2011 begangen und will die Rechte von Frauen und Mädchen stärken. Da nehme ich den heutigen Mädchentag doch zum Anlass, die 5. Netz-Funde online zu stellen.

 

Mädchentag 2018: Fokus auf gleiche Rechte, Chancen & Perspektiven

Es gibt noch viel, viel, viel zu tun, bis die Mädchen auf dieser Welt wirklich die gleichen Chancen und Möglichkeiten, Rechte und Perspektiven haben wir ihre männlichen Altersgenossen. Sicher bewegt sich einiges, aber manchmal bin ich wütend, in welchem Schneckentempo es vorangeht. Und natürlich ist es ein schönes Zeichen, wenn heute wieder verschiedenste Gebäude auf der ganzen Welt pink angestrahlt werden - es darf nur nicht damit getan sein.

Auch nicht damit, dass heute einige Mädchen ‘Chefinnen’ für einen Tag in Konzernen oder Regierungen sind: wir brauchen wirkliche Chancengleichheit. Einen permanenten Fokus darauf, wie ungleich Macht verteilt ist und welchen schädlichen Einfluss Diskriminierung und Missbrauch auf die Lebenswirklichkeiten so vieler Mädchen rund um den Globus haben.

 

Wie sehen 18-Jährige Frauen ihre Welt?

2018 werden diejenigen Mädchen 18 Jahre alt, die 2000 geboren sind. Logisch. Doch wie erleben sie die Welt, was ist ihnen wichtig und wie schauen sie in die Zukunft? Dieser Frage ist die NY TIMES in ihrer interaktiven Reportage nachgegangen: This ist 18. Sehr berührend, sensibel und wirklich interessant.

Dahinter steckt als eine der Editorial Directors Jessica Bennett, die Feminist Fight Club - wie sich Frauen am Arbeitsplatz erfolgreich durchboxen geschrieben hat. Dieses Buch ist 2018 auch auf Deutsch erschienen: kämpferisch, wissenswert, sehr auf den Punkt und gleichzeitig mit wirklich viel Humor. Also auch dafür: klare Lese-Empfehlung.

 

Reden von Frauen: Für eine weibliche Rhetorik

Rhetorik gilt vielen leider noch immer als ‘männliche Kunst’; auf jeden Fall als von Männern dominiert. Das antike Rednerideal hatte nur den Mann im Blick und noch immer sind vielerorts Frauen auf den Bühnen und Podien in der Unterzahl. Doch es gab und gibt große Reden von Frauen: dieser Beitrag auf DEUTSCHLANDFUNK wirft darauf ein Licht: Rhetorik als Kunst - Historische Reden von Frauen.

Im Artikel kommt Lily Tonger-Erk zu Wort, die diese Reden historisch einordnet und ihre jeweilige Bedeutung klarmacht. Sie ist mit Martina Wagner-Egelhaaf die Herausgeberin des Buches ‘Einspruch! Reden von Frauen’, das ich sehr schätze. Leider ist es derzeit über den normalen Buchhandel nicht mehr zu kaufen, doch über ZVAB sehr leicht noch zu bestellen.

 

Weiblicher Bildungskanon: unvollständig, subjektiv - aber ein Anfang

Während der oben verlinkte Artikel weibliche Reden, Stimmen und Sichtweisen in den Fokus rückt, ist auf SPIEGEL ONLINE ein weiblicher Bildungs-Kanon erschienen, initiiert von Sibylle Berg: Diese Frauen müssen Sie kennen. Bisherige Bildungs-Kanons sind sehr von Männern dominiert, und deswegen macht dieses Team einen Gegenvorschlag:

‘Die Welt wurde durch Ordnungssysteme, die vornehmlich männliche Geistesgrößen auflisten, nicht zu einem erfreulicheren Ort. Darum ist es Zeit für eine neue Liste. Neue Namen mit Ideen, die vielleicht etwas zu einem freundlicheren Miteinander in der Welt beitragen können. Und die für die andere Hälfte der Bevölkerung auch Relevanz haben.’

Ach, das ist ein Ansatz, den ich so gut verstehe und nach dem ich mich ganz lange gesehnt habe. Ich kann mich an kaum eine Situation erinnern, in der in meiner Schulbildung explizit von weiblichen Errungenschaften, Malerinnen, Dichterinnen, Wissenschaftlerinnen, weiblichen Vorbildern die Rede war. Und das hat lange mein Bild von Welt geprägt. Ich bin so froh und halte es für extrem wichtig, dass nun Versuche unternommen werden, das zu ändern.

 

Über das Unwohlsein der modernen Mutter

Die von mir sehr durch die Sphären des Internets bewunderte und immer wieder gern gelesene Mareice Kaiser hat auf ZE.TT einen Artikel geschrieben, den ich an so vielen Stellen unterschreiben wollte, dass es mir schon fast weh getan hat und bei dem ich immer wieder laut JA gedacht habe: Das Unwohlsein der modernen Mutter

Auch ich kenne diese polarisierenden Aspekte von Mutterschaft, die sie beschreibt: das Zerrieben-Werden zwischen den sozialen Erwartungen von außen und den eigenen Ansprüchen. Und in den ersten Jahren als Mutter war mein eigenes mentales Wohlbefinden keineswegs rosig. Gibt’s dafür eine Lösung? Ja:

Die Lösung kann sein, dass Mütter und Väter Eltern werden’ und ‘Die Verantwortung für die gesellschaftliche Veränderung liegt bei der Politik. Sie muss Bedingungen schaffen, in denen gleichberechtigte Elternschaft gelebt werden kann – und in denen auch Ein-Eltern-Familien gut leben können; immerhin die am stärksten wachsende Familienform.’

Daran anschließend habe ich noch diesen Artikel auf MEDIUM gefunden: Kids don’t damage women’s careers: men do. In meinem näheren Kreis sehe ich gerade die Auswirkungen eines solchen Verhaltens, wenn ein Mann sich aus seiner väterlichen Verantwortung stiehlt: und es tut weh, es ist ungerecht, es macht mich so verdammt wütend.

 

Und wohin mit der Wut der Frauen?

Ach, wo wir gerade bei Wut sind: dieser Artikel von Alena Schröder in der SZ ist so verdammt gut und wahr und durchgängig zitierenswert. Wohin mit der weiblichen Wut? Er wirft ein Schlaglicht auf weibliche Wut. Auf die kochende, brodelnde Wutpfütze im Bauch, die wir alle angesichts der unglaublichen Ungerechtigkeiten in der Welt haben - und die wir so gut gelernt haben, zu kontrollieren.

‘Frauen haben verinnerlicht, wie wichtig es für die öffentliche Wahrnehmung ist, dass sie ihre berechtigten Anliegen freundlich vortragen. (…) Es gibt hierzulande auch keinen wütenden Frauenmob, der in den Straßen auf Männerjagd geht und für den Politiker »Verständnis« einfordern müssten, obwohl statistisch gesehen jeden dritten Tag in Deutschland eine Frau von ihrem aktuellen oder ehemaligen Partner umgebracht wird.’

Introvertiert oder extrovertiert?

Ich habe nie darüber nachgedacht, ob ich nun eher introvertiert oder extrovertiert bin. Bis wir einmal beim Mittagessen im Büro auf dieses Thema gekommen sind - und ich die Frage sehr spannend fand. Aus dem Bauch heraus habe ich gesagt, dass sich bei mir wahrscheinlich intro- und extrovertierte Persönlichkeitsanteile in etwa die Waage halten. Ich kann sehr gut allein sein und brauche es manchmal richtiggehend, um aufzutanken. Und genauso wichtig ist für mich der intensive Kontakt mit anderen Menschen.

Kurz danach habe ich diesen Artikel von Lydia Krüger auf BUSINESS LADYS gefunden: 11 Wahrheiten über Introvertierte. Darin erklärt sie sehr gut, was es bedeutet, introvertiert zu sein und dass es um ein ‘Persönlichkeitsspektrum’ geht. Interessanter Artikel, um in das Thema einzusteigen.

Ich habe dann tatsächlich einen an Myers-Briggs angelehnten Persönlichkeitstest gemacht, nämlich den 16 Personalities Test. Dauert 10 Minuten: zack zack alle Fragen beantwortet. Danach habe ich eine Auswertung bekommen, in der es auch um das Verhältnis meiner intro- und extrovertierten Persönlichkeitsanteile zueinander ging. Bei mir hielt sich das tatsächlich fast die Waage, mit einem leichten Überhang Richtung Extraversion. Interessant interessant…

 

Amy Cuddy widerlegt Kritik an ihrer Arbeit

In meinen Seminaren geht es immer wieder um die Verbindung zwischen äußerem Ausdruck und innerem Erleben. Die Rhetorik arbeitet seit Jahrtausenden mit diesem Zusammenhang: eine Rednerin wirkt umso überzeugender, je besser Inhalt und Ausdruck zusammenspielen.

Dabei spielt die Körperhaltung eine riesige Rolle, ebenso wie der stimmliche Ausdruck und natürlich die eigene innere Haltung, das Verhältnis der Rednerin zu ihren Inhalten. Eine der ersten Sachen, die ich vermittle, ist ein guter und sicherer Stand: nur wer gut steht, hat auch ein gewisses Standing.

Natürlich komme ich in diesem Zusammenhang auch immer wieder auf Amy Cuddy zu sprechen, die zu den Effekten von Power-Posing forscht. Dazu hat sie einen sehr erfolgreichen TED-Talk gehalten und ein Buch geschrieben: darin geht es darum, welchen Einfluss starke, expansive, kraftvolle Posen auf das innere Erleben von Macht haben.

Diese Forschungen wurden angegriffen, als Pseudo-Wissenschaft gebrandmarkt und haben eine Kontroverse entfacht. In dem sehr guten FORBES Artikel von Kim Elsesser geht es um die Hintergründe dieser Debatte und warum gerade Amy Cuddy so hart kritisiert wurde: Power Posing Is Back: Amy Cuddy Sucessfully Refutes Criticism

Dazu hat Elsesser 2 Theorien: Cuddy ist selbst eine sehr erfolgreiche und starke Frau, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, andere Frauen und Minderheiten stark zu haben, zu empowern. Das gefällt manchen Personen gar nicht. Auf der anderen Seite sind Amy Cuddys Forschungen auch für Nicht-Akademiker*innen außerhalb des Elfenbeinturms gut zu verstehen - und allein das kann schon Vorurteile hervorrufen.

Ich merke bei jeder Übung, bei der es um Kraft und Expansion geht, wie direkt und positiv sie sich auf die Körper und Stimmen meiner Teilnehmer*innen auswirken. Wer kraftvoll steht und redet, kann eine ganz andere Form von Engagement, Überzeugungskraft und Begeisterung in die Welt tragen. Wie schön, dass Amy Cuddy wissenschaftlich so lebendig belegt, was sich durch persönliche Erfahrung sofort jeder vermittelt.

 

Rebecca Solnit schreibt Christine Blasey Ford einen offenen Brief und bedankt sich.

In den letzten Wochen habe ich immer wieder fassungslos nach Amerika geschaut (nein, stimmt nicht: ich tue das seit Jahren. Mindestens seitdem dieser unfassbar inkompetente und sexistische Mann da im weißen Haus hockt…): diesmal ging es um die Ernennung von Brett Kavanaugh zum Richter am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten. Dr. Christine Blasey Ford beschuldigte ihn, sie als Teenager gravierend sexuell belästigt zu haben und plötzlich stand ihre Aussage gegen seine. Kurz: er bekam seine angestrebte Position, sie wurde öffentlich gedemütigt und erhält seither Morddrohungen.

Rebecca Solnit, die Autorin von ‘Wenn Männer mir die Welt erklären’, schreibt im GUARDIAN einen offenen Brief an Christine Ford Blasey und bedankt sich bei ihr: Dear Christine Blasey Ford: you are a welcome earthquake. Dieser Brief hat mich sehr berührt - unbedingt lesen.

‘You have, by telling your own story with wrenching vividness, opened up space for countless voices to be heard, for many to tell their own stories for the first time, for the balance to again shift a little. You did not want this role, but when you felt it necessary you came forward and you spoke. And for that, you are the hero of millions.’

 

Den Mund zu halten ist keine Option.

Ein aktueller Fall aus meinem Heimatland Österreich macht mich da genauso ratlos und betroffen (und wütend, jawohl, das auch): da wurde gerade die ehemalige Grünen-Abgeordnete Sigrid Maurer wegen übler Nachrede gegenüber einem Mann verurteilt, der ihr mutmaßlich obszöne und beleidigende Nachrichten über Facebook geschrieben hatte.

Sie machte das öffentlich. Der Richter hatte deutliche Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Mannes - und verurteilte Maurer trotzdem. Hä? Wie ist das zu verstehen. Nur so, wie Kathleen Hildebrand in ihrem Kommentar in der SZ schreibt: Haltet lieber den Mund. Das werden wir natürlich nicht tun. Und auch Sigrid Maurer hat schon angekündigt, gegen dieses Urteil notfalls bis nach Straßburg zu gehen.

 

Wow, nach dieser Link-Zusammenstellung spätestens ist klar: einmal im Oktober ein paar Gebäude pink anstrahlen und im März den Frauentag groß zelebrieren, reicht nicht. Mit dem Patriarchat ist eine permanente Auseinandersetzung notwendig, ein immer-weiter-reden und den-Finger-in-die-Wunde legen. Danke an all die großartigen, mutigen, ihre Erfahrungen teilenden Frauen da draußen. Wir gehen Seite an Seite.