Erst ankommen, tief durchatmen - dann anfangen
Endlich ist der Moment gekommen, in dem du mit deiner Präsentation oder deiner Rede vor dein Publikum trittst, das dir gespannt entgegen blickt.
Das Lampenfieber lässt den Puls in die Höhe schnellen, und dann willst du eigentlich nur eines: schnell anfangen. Schnell über die ersten paar Minuten hinaus kommen, um zu dem Punkt zu gelangen, wo die Spannung endlich nachlässt.
Einfach nur reinspringen und loslegen?
Dieser Impuls, einfach nur beginnen zu wollen und 'ins kalte Wasser zu springen' ist verständlich. Du willst das Publikum erreichen, eine Beziehung herstellen und möglichst authentisch deine Botschaft vermitteln.
All diese Anforderungen lösen gleich noch mehr Lampenfieber-Stress aus. Jetzt aber wirklich beginnen, denn dann 'habe ich es hinter mir...'
Also trittst du vor deine Zuhörer*innen und noch bevor du richtig stehst, hörst du dich schon den ersten Satz sagen. Die weiteren Anfangs-Sätze plätschern nacheinander aus deinem Mund raus. Die Zuhörer*innen vor dir sind eine einzige gesichtslose Masse, du redest immer weiter und weiter, ohne Punkt und Komma. Du denkst: 'Die werden schon mitkommen...'
Stopp! Wenn du das so machst, hast du den so wertvollen Anfang deiner intensiv vorbereiteten Präsentation schon verschenkt. Das wäre so schade.
Bewusst anfangen ist besser.
Einem bewussten Auftritt kommt eine besondere Bedeutung zu. Nach dem Motto: erst ankommen – und dann anfangen.
Warum ist das so? Und wie könnte so ein präsenter Auftritt und Rede-Einstieg aussehen?
Gleich zu Beginn einer Rede entscheidet sich vieles: das Interesse der Hörer*innen für die Sache. Die Aufmerksamkeit des Publikums. Die innere Einstellung des Publikums zu dir als Rednerin und deinen Inhalten. Ob dich deine Zuhörer*innen für kompetent halten oder nicht.
Zuhörer*innen fällen schnell ein Urteil über die redende Person und hören dann dem Vortrag mit den eigenen gedanklichen Wertungen zu. Wenn du verhetzt in deine Präsentation einsteigst, wirst du in Gedanken des Publikums kaum mehr zum tiefenentspannten Buddha mutieren...
Die ersten 3 entscheidenden Minuten
Verschiedenen Untersuchungen zufolge entscheiden gerade die ersten 3 Minuten über die Bereitschaft des Publikums, zuzuhören und sich überzeugen zu lassen. Deswegen ist bei allen Rede- und Präsentationssituationen der Einstieg so wichtig.
Inhaltlich wird gerade der Beginn der Präsentation zum größten Teil wieder vergessen. Denn in den ersten Minuten ist die Kapazität der Zuhörenden, Neues aufzunehmen, sehr gering.
Auf zu vieles müssen sie sich ja gleichzeitig einstellen: auf die neue Situation, die Persönlichkeit der Sprecherin und die Qualität des Inhalts.
Wenn du also besonders schnell anfangen willst, kopfüber ins eiskalte Nass, vergibst du dir eine Chance für den Einstieg und machst es dir ungewollt schwer.
Denn Eindrücke zu deinem Körperausdruck, deiner Stimme und Präsenz werden vom Publikum noch mal anders verarbeitet als die inhaltlichen Komponenten. Das hat viel mit Gefühlen zu tun - und an die kommst du mit Kopf-Inhalten, Daten und Fakten nicht ran.
Außerdem überträgt sich deine Anspannung in Teilen auf deine Zuhörer*innen. Das ist vor allem in Bezug auf die Stimme nachgewiesen. Wenn deine Stimme gehetzt und angestrengt klingt, vollziehen das deine Hörer*innen unbewusst nach - und spannen sogar selbst die Stimmbänder an.
Das verdammte Lampenfieber soll verschwinden!
Ich erlebe immer wieder, dass Menschen auf die Bühne gehen und dann den ersten Satz sagen oder in die erste Aktion springen, ohne überhaupt angekommen zu sein.
Das betrifft Redner*innen, Vortragende und Schauspieler*innen gleichermaßen. Fast immer entsteht das aus dem Bedürfnis, sich selbst möglichst schnell aus der Spannung zu erlösen, die ein neuer Auftritt mit sich bringt.
Aber dieses noch-nicht-ganz-da-sein, dieses sich-hineinschummeln-wollen merkt man der Person auf Bühne und Podium an. Selbst wenn das Publikum es sich nicht bewusst macht: solange du als Rednerin nicht wirklich da ist, sind es deine Zuhörer*innen auch nicht.
Solange sich das Publikum nicht angesprochen, gemeint und wahrgenommen fühlt, wird es auch nichts an- und aufnehmen.
Wenn du als Rednerin und damit auch dein Publikum noch nicht in der neuen Situation angekommen sind, dauert es dementsprechend länger, bis Verständigung möglich wird. Das ist schade, denn darum geht es ja auch bei Reden: um bewusstes Verstehen und klare Kommunikation.
Wichtige Augenblicke der Vorbereitung
Damit das von Beginn an gelingt, sind auch die Augenblicke vorab wichtig, in denen noch kein Wort gesagt wird.
Nimm dir schon vor dem Auftritt Zeit, dich mental auf die Sprechsituation vorzubereiten: „Ja, gleich gehe ich da raus und werde mein Bestes geben.“
Und wenn das Lampenfieber allzu sehr beißt? Versuche, einen freundschaftlichen Umgang damit zu pflegen, im Sinne von: „Hallo Lampenfieber, auch schon wieder da? Na, dann lass uns mal miteinander rausgehen. Ja klar, du kommst auch mit...“
Es nützt nichts, das Lampenfieber wegdrücken zu wollen – es meldet sich dann nur umso heftiger zurück. Bis zu einem gewissen Grad ist Lampenfieber sogar nützlich für einen erfolgreichen Auftritt.
Schließlich der Schritt vors Publikum: ja, alle Augen sind da auf dich gerichtet. Das ist ein Moment von kribbeliger Erwartung – und er kann auch etwas mit freudvoll empfundener Macht zu tun haben.
Du darfst diese besondere Rollenverteilung genießen.
Bei einer Rede oder Präsentation ist die Rollenverteilung klar: ein Mensch in einer räumlich exponierten Position redet – und die anderen hören zu. Und ja, dieses besondere Macht-Gefälle darfst du durchaus auch genießen...
Nutze also diese spezielle Situation für dich: genauso sehr, wie du dir vielleicht lampenfiebrig Gedanken darüber machst, was die anderen von dir halten, sind diese Menschen gespannt auf das, was sie von dir erfahren werden.
Nimm dir Zeit für den Gang auf die Bühne, zum Redner-Pult oder auf deine Position vor deine Zuhörer*innen. Egal, ob es sich um ein Referat vor deinen Kommiliton*innen handelt, um einen Pitch vor potentiellen Kund*innen oder deinen wissenschaftlichen Vortrag.
Wenn du angekommen bist, dann steh erst mal da. Atme tief durch, nimm Blickkontakt zu den Leuten dir gegenüber auf, freundlich. Gib dir selbst einen Moment, um dir zu vergegenwärtigen: Jetzt bin ich da. Genau hier.
Du hast die Zeit in der Hand.
Komm in dieser neuen Situation des Aufgetreten-Seins an. Wirf dich nicht überstürzt in den ersten Satz. Niemand wird an deiner statt anfangen zu sprechen. Du gibst die innere und äußere Zeit vor. Du hast die Situation in der Hand.
Je fokussierter und präsenter du bist, desto eher werden dir deine Zuhörer*innen folgen. Noch mal ausatmen: das erdet und bringt den Puls zur Ruhe.
Das wiederum wirkt sich positiv auf die Stimme aus. Blickkontakt aufbauen. Und wenn du den Beginn deiner Rede im Kopf und im Herzen hast, fängst du klar zu sprechen an.