Warum die 7-38-55% Zauberformel ein Mythos ist

 
7-38-55%. Rhetorik Training.png
 

Sicherlich ist dir die 'Zauberformel' schon einmal begegnet. 

Sie wird gern von Trainern in den unterschiedlichsten kommunikativen Kontexten an Flipchart-Wände gemalt, sie wird in Artikeln zitiert und taucht in allerlei populärwissenschaftlichen Büchern auf. Sie wird immer wieder von Leuten wiederholt, die wahrscheinlich noch nie genau drüber nachgedacht haben. 

Sie ist verführerisch. Sie ist ein in drei Zahlen gegossenes Versprechen: 7–38–55%. 

 

3 Zahlen als Leitlinie?

Diese drei Zahlen suggerieren, dass Kommunikation einfach und durchschaubar sei und bieten eine ‚Leitlinie’ an:

Demnach hänge die Wirkung einer gesprochenen Aussage auf den Zuhörer nur zu:

 7% vom eigentlichen verbalen Inhalt, den Worten, ab.
Dafür aber zu 38% vom sprecherischen Tonfall.
Und zu 55% vom Körperausdruck.

Das ist eine grobe Verallgemeinerung und Verkürzung der Realität!!!

Ja, Regeln können was Schönes und Erleichterndes haben. Dieser Dreischritt jedoch entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als gefährlicher Mythos.

Schon in Bezug auf die Alltagsrealität ist erkennbar, dass er nicht stimmen kann. Und deswegen schauen wir jetzt genauer hin. Damit dieser Mythos endgültig entzaubert wird. 

 

Je nach Situation steht in der Kommunikation etwas Anderes im Vordergrund. 

Bei manchen Botschaften stehen klar die Sachinhalte (Was?) im Vordergrund: etwa wenn dein Gegenüber dir mitteilt, dass du den Job bekommen hast! Wenn du einer Präsentation über die neue Straßenführung in deinem Ort zuhörst. Wenn du selbst eine Informationsrede hältst: eine Präsentation, ein Referat. 

Manchmal ist der stimmliche Ausdruck (Wie?) entscheidend, der eng mit der jeweiligen inneren Haltung verknüpft ist. Etwa,  wenn du deiner 10jährigen Tochter sagen musst, dass der Hamster in der Nacht gestorben ist (Trauer). Oder wenn du jemandem sagst, wieviel er dir bedeutet (Liebe, Wertschätzung). 

Und bei jeder kommunikativen Interaktion, soviel ist klar, spielt unser Körperausdruck eine entscheidende Rolle. Der Körper hilft uns, unsere Botschaften adäquat zu übermitteln und sendet natürlich auch immer Zusatzinformationen aus.

Diese 'empfangen' wir auf einer anderen Ebene des Bewusstseins als die inhaltlichen Äußerungen oder die innere Haltung mit dem Stimmausdruck. 

Es gibt also mehrere kommunikative Ebenen, die bei Interaktionen zwischen Personen mitspielen. Aber das Verhältnis dieser drei Ebenen Inhalt – Tonfall – Körperausdruck zueinander ist je nach Situation unterschiedlich.

Eine Studie mit eng begrenzter Fragestellung

Der Mythos um die 7-38-55%-Formel hält sich allerdings hartnäckig. Er wird immer dann besonders gern bedient, wenn Menschen aus irgendeinem Grund suggeriert werden soll, dass es eh nicht so wichtig ist, was und wie sie etwas sagen.

À la: "Du musst dir nicht so viel Mühe mit dem Inhalt machen und wie du etwas sagst, im Endeffekt ist nur deine Körpersprache entscheidend."

Das ist natürlich ein Blödsinn. Warum hätte der Mensch dann die Laut-Sprache erfinden sollen? 

 

Wie kam es zu diesem Kommunikations-Mythos?

Wie kann es nun zu dieser krassen Verallgemeinerung kommen, die zu der'7-38-55%-Zauberformel' geführt hat?

1971 stellte der amerikanische Psychologe Albert Mehrabian diese Zahlen im Rahmen einer Studie vor, die eine sehr eng begrenzte Fragestellung hatte.

Es ging dabei um die Wirkung von einem gesprochenem Wort in Beziehung zum Tonfall und zur Mimik. Aber die Studie beschäftigte sich mit diesem Zusammenspiel der kommunikativen Ebenen in Bezug auf ein einziges wertneutrales Wort!

Anhand des Wörtchens „maybe“ (= möglicherweise) untersuchte Mehrabian, wie sich die Wirkung des Worts aufgrund von unterschiedlicher Sprechweise und Körperausdruck verändert.

 

Im Nachhinein wurde Albert Mehrabians Studie grob verallgemeinert.

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Die Studie wurde sorgfältig ausgeführt, die Versuchsanordnung und Ergebnisse deutlich kommuniziert. Im Nachhinein jedoch wurden die Ergebnisse von außen auf die gesamte mündliche Kommunikation übertragen.

So kam es durch stete Verallgemeinerung zur Entstehung der 7-38-55%-Zauberformel. Und damit zu diesem gefährlichen Kommunikations-Mythos. 

Ob Inhalt, Sprechausdruck oder Körperausdruck für die Kommunikation gerade besonders bedeutsam sind, variiert je nach Situation und Kontext sehr stark. Deswegen ist dieser Prozess auch nicht mit einer einfachen Formel abbildbar.

 

Der Mythos rund um die 'Zauberformel' führt zu schnellen Urteilen.

Gefährlich wird die 7-38-55%-Formel, wenn sich Menschen von ihr beeinflussen und in ihrer Wahrnehmung leiten lassen.

Plötzlich rücken dann Sitzpositionen, Beinstellungen oder eine häufig in Falten gelegte Stirn des Gesprächspartners gnadenlos in den Fokus. Das kann zu vorschnellen Urteilen führen und ein Gespräch schwierig machen oder boykottieren.

Deswegen ist es wichtig, die 'Zauberformel' als das darzustellen, was sie ist: ein Mythos.

Damit wird Platz im Kopf frei, um dem Gesprächspartner mit klarem Blick und offenem Geist zu begegnen: Für eine ganzheitliche und differenzierte Wahrnehmung auf allen kommunikativen Kanälen!

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