So wandelst du einen Text in einen freien Vortrag um
Du hast einen tollen Text geschrieben, in den du viel Recherche, Wissen und Zeit investiert hast. Er liest sich flüssig und bietet eine Menge Mehrwert. Nachdem du ihn veröffentlicht und in die Welt hinausgelassen hat, kommt die Anfrage: „Kannst du zu diesem Thema öffentlich sprechen?“
Oder du entscheidest selbst, dein Wissen durch einen Vortrag deiner Zielgruppe zugänglich zu machen. Dein geschriebener Text soll sich jetzt wandeln; gedruckte Worte zu gesprochenen werden.
In diesem Artikel erfährst du, was geschriebene und gesprochene Texte gemeinsam haben – und was unterschiedlich funktioniert. Und wie du einen geschriebenen Text in einen flüssig & frei gesprochenen Vortrag umwandelst.
Obwohl du vieles von deinem Text für das öffentliche Sprechen weiterwenden kannst, musst du in einigen Punkten neu denken. Ich erkläre dir, worauf du achten solltest. Und wie du vorgehst, wenn du deinen geschriebenen Text nicht ‚einfach nur‘ laut vorlesen willst.
Das Vorlesen deines Textes macht noch keinen Vortrag.
Wobei ‘nur Vorlesen’ so einfach gar nicht ist: Wirklich gutes, flüssiges Vorlesen erfordert eine Menge an Know-How und Übung. Doch für das Sprechen vor Publikum ist das Vorlesen deines Textes niemals das Mittel der Wahl - denn Geschriebenes und Gesprochenes funktionieren unterschiedlich.
Dein geschriebener Text wird anderen Leuten durchs Lesen zugänglich. Du schreibst einen Text allein – und einige Zeit später sitzt ein anderer Mensch mit deinen Zeilen da; liest sie still und für sich. Wer einen Text liest, entscheidet selbst, wieviel Zeit er oder sie für die vollständige Aufnahme braucht.
Beim Lesen entscheidest du selbst, wie schnell du Informationen aufnimmst.
Denk einen Augenblick daran, wie du selbst einen geschriebenen Text aufnimmst. Du bestimmst, wann du zu lesen beginnst und wie schnell oder langsam du den Text liest. Du kannst anfangen und dann eine Pause machen, um später weiterzulesen.
Du behältst den Überblick, indem du ins Inhaltsverzeichnis blickst. Du achtest auf Überschriften und versuchst zu entschlüsseln, was sie für das nachfolgende Kapitel bedeuten mögen. Du widmest dich den Zusammenfassungen am Ende eines Kapitels, um das Gelesene nochmal Revue passieren zu lassen.
Durch Satzzeichen und typografische Gestaltung orientierst du dich in dem Text, weil so die innere Gliederung des Textes sichtbar wird. Wenn du Fremd- oder Fachwörter nicht kennst, schlägst du sie nach. Und schwierige Passagen liest du vielleicht sogar mehrmals. Daneben versuchst du, dich nicht zu sehr von neuen Nachrichten auf deinem Handy oder dem Kind, das aus der Couch eine Hüpfburg macht, ablenken zu lassen.
Bei einem Text, den du lesend aufnimmst, hast du ein gewisses Maß an Kontrolle, wie du das tust.
All das, was lesend gut für dich klappt, kann dein Publikum bei einem gesprochenen Vortrag nicht tun. Es sei denn, du bereitest deinen Vortrag entsprechend vor und denkst die Perspektive deines Publikums mit.
Deine Zuhörer:innen sind für die Zeit deines Vortrags mit dir im selben Raum. Alle erleben deinen Text durch ein besonderes Medium: Dich! Zugespitzt formuliert: Du und dein Sprechen stehen zwischen deinen Inhalten und deinen Zuhörer:innen.
Deine Zuhörer:innen sind darauf angewiesen, dass du verständlich sprichst.
Was dein Publikum durch deinen Vortrag erlebt und erfährt, ist intensiv mit dir als Person verbunden. Außer um das WAS des Inhalts geht es beim Sprechen um das WIE: Deine Verständlichkeit, deine Sprechweise und deine Beziehung zum Publikum.
Deswegen solltest du deinen Text für deine Zuhörer:innen aufbereiten. Keine Angst, du musst dafür nicht alles über Bord werfen und komplett neu beginnen. Denn einiges, was deinen geschriebenen Text gut lesbar macht, ist auch für den gesprochenen Vortrag wichtig.
4 Kriterien der Verständlichkeit, die für Texte und Vorträge gelten:
Schauen wir uns an, welche Kriterien für Verständlichkeit für geschriebene und gesprochene Texte gleichermaßen entscheidend sind. Es sind die 4 folgenden:
Struktur und Ordnung
Sicher hast du bei deinem Text auf Struktur und Ordnung geachtet. Genau in dem Punkt brauchen geschriebene und gesprochene Texte das gleiche Maß an Aufmerksamkeit. Beide Formen leben von einem Überblick am Anfang, einer klaren inneren Gliederung und einer Zusammenfassung am Schluss.
Einfachheit
Ebenso wichtig war dir sicherlich beim Schreiben deines Textes, dass er für deine Leser:innen einfach zu verstehen ist. Denn dein Text soll nicht nur für Fach-Expert:innen oder erst nach dem 5. Mal Lesen zugänglich sein. Auch für gesprochene Texte ist Einfachheit entscheidend!
Kürze und Prägnanz
Natürlich ist dein Text prägnant geschrieben und angemessen kurz. Beim Schreiben hast du den Kern der Sache im Blick behalten und beim Überarbeiten alles Langatmige rausgestrichen. Darauf kannst du mit deinem gesprochenen Vortrag wunderbar aufbauen.
Anregung und Interesse
Beim Schreiben hast du darauf geachtet, dass dein Text nicht nur eine trockene Masse an Worten ist. Sondern dass du deine Leser:innen direkt ansprichst, Bilder entstehen und Beispiele das Ganze würzen. Anregung und Interesse sind auch für gesprochene Texte wichtig.
Diese 4 Kriterien der Verständlichkeit gelten für geschriebene Texte und Vorträge gleichermaßen. Ebenso wie dein Text sollte dein Vortrag eine klare Struktur haben, einfach zu verstehen und so prägnant wie möglich sein, sowie dein Publikum miteinbeziehen.
Nun kommen wir zu den Punkten, die du beim Sprechen vor Leuten besonders beachten musst, damit dein Text auch in der mündlichen Variante zu leben anfängt.
Weg von ganzen Sätzen, hin zu Stichworten
Ganz wichtig ist beim Umarbeiten deines Textes zu einem gesprochenen Vortrag: Befreie dich in der Vorbereitung vom vollständig geschriebenen Satz. Drösle deinen Text auf. Verstichworte ihn. Mach dir nur für das Notwendigste Notizen und schreib gut lesbare Stichpunkte auf Karteikarten.
Auch, wenn es erstmal schwerfällt: Lass nur das Gedankengerüst stehen. Du hast deinen Text geschrieben, du kennst ihn gut, hast deine Inhalte im Kopf und im Herzen. Jetzt gibst du ihm eine neue Form. Er darf zu gesprochener Sprache werden. Das ist ein Wandlungsprozess.
Schreib dir die wichtigsten Kerngedanken deines Textes in Stichworten(!) raus. Erarbeite dir eine griffige Einleitung und einen Schluss, der im Gedächtnis bleibt. Anfang und Ende sind die einzigen beiden Teile des Vortrags, die du wortwörtlich festlegst.
Aber auch hier gilt: Nur so viel aufschreiben, wie du wirklich brauchst. Versuche, mit der Unterstützung durch einen Stichwortzettel so frei wie möglich zu sprechen.
Argumentiere vom Grundsätzlichen zu den Details.
Strukturiere deine Inhalte. Argumentiere immer zuerst das Grundsätzliche und dann die Einzelprobleme. Fasse die Punkte, die dein Publikum im Gedächtnis behalten soll, am Ende eines Redeabschnitts noch einmal zusammen. Danach gib deinen Zuhörer:innen einen Überblick, was sie als Nächstes erwartet.
Arbeite beim Sprechen mit strukturierenden Einschüben. Sie helfen deinen Zuhörer:innen bei der Orientierung, wo du dich gedanklich gerade befindest. Das kann sich so anhören:
„Ich fasse das Wichtigste aus dem 1. Punkt noch mal zusammen…“
„Im Folgenden beantworte ich 3 Fragen…“
“Ich gebe Ihnen jetzt einen Überblick über …”
„Das waren die Grundlagen. Was bedeutet das konkret für uns?“
Verwende beim Sprechen kurze Sätze. Es sollten vor allem Hauptsätze sein. Vermeide Schachtelsätze und formuliere so aktiv wie möglich. Wenn du Fremd- oder Fachwörter verwendest, erkläre sie kurz oder umschreibe sie. Nicht immer wirst du auf ein genau zutreffendes Fachwort verzichten wollen – bringe es deinen Zuhörer:innen jedoch bewusst nahe.
Setze Visualisierungen gezielt ein.
Besonders gut prägen sich Fachbegriffe ein, wenn deine Zuhörer:innen sie zusätzlich lesen. Benutze visuelle Hilfsmittel, um die Verständlichkeit deines Vortrags zu erhöhen: zum Beispiel ein Flip-Chart oder eine PowerPoint-Präsentation.
Bei Visualisierungen sollte jedoch dein eigenes Sprechen im Vordergrund stehen. Achte darauf, dass visuelle Inhalte dich unterstützen – und nicht die Führung übernehmen.
Denn die Führung beim Vortragen hast du. Deine Stimme, dein Körperausdruck, deine ganz persönliche Art machen einen Vortrag unverwechselbar. Deine Zuhörer:innen folgen dir darüberhinaus gerne, wenn du verständlich sprichst.
Was Verständlichkeit beim Sprechen bedeutet
Jetzt kommen wir zu einem zusätzlichen Punkt der Verständlichkeit, den du bei einem gesprochenen Vortrag mitbedenken solltest. Es geht um deine Sprechweise - und damit auch um die Frage: Was kannst du beim Sprechen tun, um wirklich verständlich zu sprechen?
Mach immer wieder deutliche Pausen, während du sprichst. Die brauchen deine Zuhörer:innen, um das eben Gehörte zu verarbeiten. Gib ihnen Zeit dazu. Selbst wenn dir deine Pausen endlos vorkommen: das sind sie aus Sicht des Publikums nicht.
Erinnere dich: beim Lesen bestimmt die lesende Person selbst, wann sie durchatmet und das Geschriebene sacken lässt. Beim Sprechen musst du dafür die Verantwortung übernehmen.
Geh am Ende eines Satzes deutlich mit der Stimme runter. Dann wissen deine Zuhörer:innen, dass ein Gedanke abgeschlossen ist und können sich auf den nächsten einstellen.
Sei achtsam mit deiner Stimme: Oft passiert es bei sehr engagiertem Sprechen oder durch Unsicherheit, dass die Stimme hochrutscht. Dann nimmt jedoch die Verständnisfähigkeit deiner Zuhörer:innen ab. Sprich also im ‚Brustton der Überzeugung‘.
Du musst nicht übertrieben laut sprechen, um deine Zuhörer:innen zu erreichen. Artikuliere lieber deutlich. Forme alle Laute beim Sprechen mit Aufmerksamkeit aus. Dann dringt dein Sprechen auch bis in die hinterste Ecke des Raumes und dein Text fängt in den Ohren deiner Zuhörer:innen zu leben an.
Probe deinen Vortrag im geschützten Rahmen.
Bevor du mit deinem Vortrag vor deine Zuhörer:innen trittst, sprich ihn zu Hause in Ruhe mindestens einmal laut durch. So merkst du, wo du unsicher wirst. Du findest heraus, wo Überleitungen noch nicht ganz klar sind oder wo du dich verzettelst. Ich kann gar nicht oft genug sagen, wie entscheidend eine Probe vor einem Vortrag ist.
Ganz besonders bewusst wird dir das, wenn du eine vertraute Person bittest, dein Probe-Publikum zu sein. So bekommst du Feedback und machst deine Sache dann beim wirklichen Vortrag noch besser.
Du wirst merken: dein Text hat als Vortrag zwar eine andere Form, aber die Inhalte sind immer noch die gleichen. Deine Gedanken, deine Expertise drücken sich einfach anders aus: durch das gesprochene, statt durchs geschriebene Wort.
Jetzt wünsche ich dir viel Spaß beim Umarbeiten deines Textes in einen Vortrag!