Sprich von dir und nicht von 'man'
„Das macht man nicht!”
„Wenn man sich in der Früh nicht beeilt, kommt man zu spät zur Arbeit.”
„Man denkt sich da manchmal schon so seinen Teil…”
Hörst du solche Formulierungen auch manchmal? Bemerkst du, wenn du sie selbst verwendest oder andere Personen in deinem Umfeld auf diese Weise kommunizieren?
Das Indefinitpronomen ‘man’ ist allgegenwärtig.
Mir fällt das Sprechen per ‚man‘ mittlerweile sehr stark auf: ich stolpere geradezu auf Schritt und Tritt darüber. Das allgemeine ‚man‘ macht mich manchmal richtig nervös.
Vielleicht rückt dieses kleine Indefinitpronomen ‚man‘ immer stärker in mein Bewusstsein, weil ich mich so viel mit Rhetorik und Kommunikation beschäftige. Weil ich den Fokus ganz bewusst darauf richte. Je genauer ich in Gesprächen und bei Vorträgen hinhöre, desto öfter begegnet mir ‚man‘.
Immer häufiger möchte ich dann fragen:
„Wer ist ‚man‘?“
‘Man’ hat enorme Effekte auf gesprochene Sprache.
Deswegen begebe ich mich in diesem Blogartikel auf eine Entdeckungsreise rund um das im Deutschen so beliebte Indefinitpronomen ‘man’. Ich zeige dir, in welchen Gesprächs-Momenten du es verwendest und was es mit deinem Sprechen macht. Denn gerade bei der Verwendung in gesprochener Sprache hat es enorme Effekte.
Dabei habe ich in diesem Blogartikel versucht, alles so aktiv wie möglich zu schreiben und indirekte Formulierungen, sowie ‚man‘-Wendungen soweit als möglich rauszulassen.
Dadurch schreibe ich selbst bei der unten stehenden Aufzählung per ‚du‘: das wirkt vielleicht bei diesem Thema besonders ungewöhnlich und ein klein wenig verstörend – aber genau das ist diesmal beabsichtigt. Schließlich geht es mir darum, dass du beim Sprechen ein genaueres Bewusstsein für ‚man‘-Phrasen entwickelst. Damit du dann entscheiden kannst, wann du sie weglassen und durch aktivere Formulierungen ersetzen willst.
5 Aspekte, wie du ‚man‘ verwendest
Es gibt verschiedene Bedeutungen oder Verwendungen von ‚man‘: immer hat es jedoch eine Stellvertreter-Funktion für eine oder mehrere (un-)bestimmte Personen. Schauen wir uns an, wie du es beim Sprechen verwenden kannst.
1. Du verwendest ‚man‘ stellvertretend für ‚die Leute‘ oder eine Form der Öffentlichkeit.
Beispiele:
„Das Thema ‚sexuelle Belästigung‘ hat im letzten Jahr besondere Aufmerksamkeit bekommen. Heute geht man durch #metoo bewusster damit um.“
„Man kann dir unter den Rock gucken.“
2. Du sagst durch das Sprechen per ‚man‘ etwas über bestimmte gesellschaftliche Umgangsformen aus.
Oder du redest über eine gedachte Person, die nach deinen eigenen Maßstäben gut und richtig handelt. Ich höre diese sprachliche Form öfter rund um die Kommunikation mit Kindern: wenn dem Kind rund um ein (vermeintliches) Fehlverhalten vermittelt wird, dass es falsch gehandelt hat.
Beispiele:
„Tina, man sitzt in der U-Bahn nicht breitbeinig da!“
„Konstantin, man haut andere Kinder nicht! Das tut man einfach nicht.“
„Thomas, man kommt einfach nicht zu spät zu einer Verabredung.“
„Man lässt andere Leute wirklich ausreden!“
3. Du sagst ‚man‘ anstelle von ‚irgendjemand‘ oder ‚irgendetwas‘.
Damit kannst du eine bestimmte Person meinen, eine unbekannte Person oder Personengruppe und sogar dich selbst.
Beispiele:
„Man denkt sich da einfach nichts dabei.“
„Wenn man sieht, wie manche Autofahrer*innen den Fahrradweg zuparken, kann man schon wütend werden.“
„Man bereitet sich auf einen Vortrag gut vor und bekommt dann trotzdem Lampenfieber.“
4. Du verwendest ‚man‘ in ironischer Form anstelle eines Personalpronomens wie ‚du‘ oder ‚Sie‘.
Dadurch schaffst du im Gespräch durch diese indirekte Formulierung in der 3. Person vordergründig eine Distanz. Wenn du ‚man‘ auf diese Art gebrauchst, steckt dahinter jedoch meist ein sehr direkter Angriff, der die angesprochene Person persönlich meint. Die Verwendung des ‚man‘ verschleiert das auf der sprachlichen Ebene. Wenn dir selbst diese Verwendung von ‚man‘ begegnet, ist das wiederum ein ideales Übungsfeld für schlagfertige Antworten.
Beispiele:
„Man will also auch mal was zum Gespräch beitragen.“
„Man ist heute aber mal früh aufgestanden.“
„Man ist immer so empfindlich, wenn man sich mit Frauen-Themen beschäftigt hat…“
5. Durch das Sprechen per ‚man‘ überträgst du eine eigene Handlung, Erfahrung oder Aussage auf die Allgemeinheit.
In dem Fall verwendest du es stellvertretend für ‚ich‘ oder ‚wir‘.
Beispiele:
„Die Kinder waren richtig aufgeregt wegen des Ausflugs. Das konnte man gut verstehen.“
„Man strampelt sich hier ab, aber das wird ja alles als selbstverständlich angesehen.“
„Da lernt man nie aus.“
„Die momentanen gesellschaftlichen Entwicklungen sind ganz schön beängstigend. Da will man sich am liebsten eine Decke über den Kopf ziehen und keine Nachrichten mehr gucken.“
„Bei dem Konzert gestern war es ziemlich voll. Da konnte man direkt Platzangst kriegen.“
Mir geht es um mehr Bewusstheit mit dem Indefinitpronomen ‘man’.
Nach dieser Zusammenstellung lass mich eines klar stellen: es geht mir nicht darum, sämtliche ‚man‘-Konstruktionen zu verbannen. Sie sind nicht per se schlecht.
Manchmal können sie dir auf einer niedrigschwelligen Ebene einen Gesprächserfolg sichern: wenn du gerade keine Auseinandersetzung eingehen willst oder ein ‚Haltung-Zeigen‘ gerade nicht nötig ist.
Du kannst durch das Sprechen per ‚man‘ Zustimmung suggerieren oder deine eigenen Einstellungen verschleiern. Manchmal ist eine ‚man‘-Konstruktion auch einfach bequem: da hast du etwas gesagt, ohne dich zu sehr aus der Deckung zu bewegen oder den Fokus zu stark auf dich selbst zu lenken.
Ich verwende ab und zu ein ‚man‘ beim Sprechen.
Du verwendest manchmal ‚man‘.
Man verwendet halt mal ein ‚man‘ im Deutschen.
Praktisches kleines Indefinitpronomen ‘man’.
Doch wie oft verwendest du ‚man‘ bewusst? Wann drückt es aus, was du wirklich sagen möchtest – und wann schummelst du dich mittels ‚man‘ so durch deine Kommunikation?
‚Man‘-Formulierungen sind indirekt.
‚Man’-Formulierungen sind ein sprachlich-sprecherisches Ausweichmanöver. Du kannst durch das Sprechen per ‚man‘ vermeiden, Haltung zu beziehen. ‚Man‘ verschleiert, es hält Dinge, Erfahrungen oder Befindlichkeiten im Allgemeinen, die oft sehr konkret und persönlich sind.
Wenn mir jemand etwas per ‚man‘ erzählt, möchte ich am liebsten fragen: „Wer ist ‚man‘? Sprichst du gerade von dir? Geht’s hier um deine Erlebnisse? Erzähl mir doch, wie du es siehst.”
Hinter dem Indefinitpronomen ‘man’ verbirgst du deine ureigenen Absichten, Werte und Interessen.
Hinter deinen sprachlichen ‚man‘-Konstruktionen liegen ganz konkrete Absichten, Normen, Werte oder Interessen verborgen. Wenn du sie sprachlich verschleierst, gibt es immer die Gefahr, dass du an deinen Gesprächspartner*innen vorbeiredest, dass sie dich nicht wirklich verstehen. Denn du zeigst dich in deinen Formulierungen nicht wirklich.
Damit du verstanden und gehört wirst, ist persönliche Kommunikation wichtig. Ein Sprechen, das dich kenntlich macht. Durch das ich höre, wofür du stehst und was genau dir wichtig ist. Ein Sprechen, das mir deine Ansichten und Meinungen mitteilt. Vertrauen und Verständnis entstehen immer durch authentische Kommunikation: durch das persönliche Sprechen aus der ‚Ich‘-Perspektive.
Kommunikation ist persönlich.
‚Man‘ suggeriert oft einen Konsens, der bei genauerer Betrachtung nicht da ist. Durch ‚man‘-Formulierungen kannst du dich hinter einer Gruppe oder einer öffentlichen Meinung verstecken. Es gelingt dir dadurch leichter, Hypothesen als Tatsachen darzustellen. ‚Allgemeine‘ Aussagen zur Welt kannst du dadurch genauso gut streuen wie Verallgemeinerungen.
Genau da sehe ich das brandgefährliche Potential vom Sprechen per ‘man’. Wenn du dich in deiner Kommunikation nicht persönlich zeigen willst, besteht immer die Gefahr, dass du stattdessen in allgemeinen Positionen oder Phrasen sprichst. Oder dass du, während du freundlich Zustimmung suggerieren willst, gedankenlos die ‘Grenzen des Sagbaren’ mit-verschiebst.
Vertritt dich selbst in deinen Aussagen.
Wenn du ‚ich‘ sagst, vertrittst du dich selbst in deinen Aussagen. Du zeigst damit, dass du selbst-verantwortlich sprichst und auch Verantwortung für einen gemeinsamen Gesprächs-Prozess übernimmst. Der Vorteil: dadurch wächst dein Selbstbewusstsein – und das kann gerade in hierarchischen Situationen vorteilhaft sein und dir Respekt verschaffen.
Mach dir bewusst, was du denkst und was du fühlst. Was deine eigene Haltung ist und wozu du stehst. Vielleicht kannst du auch mit-erklären, was es für dich persönlich bedeutet, dass etwas so ist, wie es ist. Wie du Welt erlebst und sie sprechend konkret beschreibst, kann einen Unterschied machen. Das ist es, was kraftvolle Kommunikation ausmacht: deine Sicht auf die Dinge.
Sprechen ist aktives Handeln.
Mir ist das persönliche Sprechen so wichtig, weil ich daran glaube, dass es Kommunikation kraftvoller macht. Es stärkt mich, wenn ich meine eigenen Ansichten vertrete und mich dabei selbst an der Nase nehme, genau zu formulieren und zu denken.
Ich merke in der Rhetorik immer wieder, dass Überzeugungskraft dort entsteht, wo eine Person sich sprechend persönlich zeigt. Ja, das ist manchmal alles viel anstrengender und aufregender als das Verstecken hinter einer Allgemeinheit. Aber es lohnt sich.
Interessant finde ich Kommunikation dann, wenn eine Position klar formuliert wird und gleichzeitig ein Interesse besteht, auch andere Positionen zu verstehen. Ich glaube daran, dass Kommunikation immer persönlich ist und dass sie beliebig oder sogar gefährlich werden kann, wenn sie Allgemeingültigkeit suggeriert.
Sprechen ist aktives Handeln: es macht einen Unterschied, ob ich mich dabei positioniere und wie ich mich darin zeige.
Höre dir beim Sprechen bewusst zu.
Was ich anregen will: Höre dir in den kommenden Tagen beim Sprechen genau zu. Werde dir bewusst, wann du ‚man‘-Konstruktionen verwendest und warum. Wenn dir das auffällt, kannst du es vielleicht umformulieren. Entweder im Nachhinein, still für dich. Oder bevor du etwas aussprichst: dann probierst du das radikale, selbstbewusste Sprechen aus der ‘Ich’-Perspektive aus…
Fast jede ‚Man‘-Formulierung kannst du auch zu einer ‚Ich‘-Aussage machen, wenn du möchtest. Damit veränderst du vielleicht den gesamten Gesprächsverlauf und Kommunikations-Kontext, aber das lohnt sich.
Vielleicht werden deine Erzählungen und Aussagen bunter, persönlicher, wagemutiger und du teilst mehr aus deiner eigenen Erfahrung mit deinen Gesprächspartner*innen. Das schafft Verbindungen, Verständnis und wirkt stärkend.
Hab keine Angst, dass du dich damit zu sehr ‘in den Vordergrund’ sprichst oder dass es narzisstisch wirkt: meiner Erfahrung nach passiert das nicht. Denn du wirst genauer auswählen, was du sagst und welche Position du beziehen willst. Weil du selbst (und nicht ‘man’) in deiner Kommunikation vorkommst. Deine Worte erhalten dadurch mehr Gewicht.
Wie sich Sprechen durch das Weglassen von ‘man’-Formulierungen verändert
Damit du ein Gespür dafür bekommst, wie das Weglassen von ‘man’-Formulierungen und das Sprechen aus der Ich’-Perspektive die Kommunikation verändern, habe ich einige Beispiel-Sätze von oben umformuliert.
Neue Beispiele, radikal aus der ersten Person gesprochen:
„Das Thema ‚sexuelle Belästigung‘ hat im letzten Jahr besondere Aufmerksamkeit bekommen. Ich merke, dass ich durch #metoo bewusster mit dem Thema umgehe./ Ich bin froh, dass es so eine Öffentlichkeit bekommen hat./ Ich wurde dadurch ermutigt, selbst über meine Erfahrungen zu sprechen. / Ich war geschockt, wie viele Frauen aus meinem Umkreis mir eigene Erfahrungen mit sexueller Belästigung berichtet haben.”
„Konstantin, ich möchte nicht, dass du andere Kinder haust. Mir ist es wichtig, dass wir respektvoll miteinander umgehen und Konflikte durchs Reden lösen. / Lass uns miteinander überlegen, wie du Konflikte anders lösen kannst.”
„Als Fahrradfahrerin erlebe ich immer wieder, dass die Fahrradwege zugeparkt werden. Da werde ich richtig wütend.“
„Ich freue mich, dass du auch etwas zum Gespräch beiträgst. Mir ist es wichtig, deine Meinung zu hören und dass wir uns wirklich miteinander austauschen.“ (Das dann bitte ohne Ironie gesprochen: Ironie wirkt sowieso in vielen kommunikativen Zusammenhängen eher eskalierend!)
„Ich gebe mir hier wirklich Mühe und bin verletzt, dass das als selbstverständlich angesehen wird.“
„Die momentanen gesellschaftlichen Entwicklungen machen mir Angst. Manchmal möchte ich mir am liebsten eine Decke über den Kopf ziehen und keine Nachrichten mehr gucken. Ich weiß, dass das auch keine Lösung ist. Trotzdem fühle ich mich manchmal einfach so hilflos.“
Gefühle, Bedürfnisse und Haltungen sind das kommunikative Salz wirklicher Verständigung.
Manchmal habe ich hier bei der Formulierung aus der ‚Ich‘-Perspektive noch etwas dazugefügt: viele Sätze verlangen plötzlich nach einer genaueren Erklärung oder Beobachtung, nach der Beschreibung eines Gefühls oder Bedürfnisses.
Ja, Kommunikation wird dadurch persönlicher. Aber oft auch kooperativer und wertschätzender. Manchmal erfordert sie mehr Mut: zu dir selbst zu stehen und für dich einzutreten. Und sie wird kraftvoller. Ein ‚Ich‘ lässt sich nicht so leicht wegschieben wie ein allgemeines ‚man‘.