Sprechangst oder Lampenfieber: Was sind die Unterschiede?
Solange ich Menschen auf dem Weg zum Auftritt begleite – ob am Theater oder rund um einen öffentlichen Rede-Auftritt – beschäftigt mich das Thema Lampenfieber.
Nicht zuletzt auch aus eigener Erfahrung. Auch, wenn ich es mittlerweile gewöhnt bin, vor Leuten zu sprechen: ein Stück Lampenfieber ist immer da und gehört wohl auch dazu.
Wo aber verläuft die Trennlinie zwischen Lampenfieber und Sprechangst? Und was unterscheidet die beiden Phänomene voneinander?
Lampenfieber: Ein Dauerbrenner
Ich sehe, dass Lampenfieber bei fast allen Menschen auftritt, die sich redend vor einem Publikum präsentieren. Es ist damit im wahrsten Sinne des Wortes ein Dauerbrenner in der Rhetorik.
Manchmal ist die Nervosität vor dem Sprechen und vor dem öffentlichen Auftritt, sogar das Thema rund um die Rede-Rhetorik, das alle anderen überstrahlt.
Lampenfieber tritt auf, wenn uns etwas wirklich wichtig ist.
Die gute Nachricht: Lampenfieber vor einem Auftritt ist normal und betrifft fast alle Menschen. Mindestens jene, die sich nicht komplett kritiklos gegenüber stehen. Und meist ist ja das Gegenteil der Fall: niemand geht innerlich so hart ins Gericht mit uns wie wir selbst.
Deswegen werden die kritischen Stimmen in unseren Köpfen auch besonders laut, wenn uns etwas wirklich wichtig ist: wie etwa, ob wir vor Publikum mit unserer Botschaft ankommen.
Wann wird Lampenfieber zu Sprechangst?
Was mich von jeher in dem Zusammenhang brennend interessiert hat, ist natürlich, wann Lampenfieber kippt – und zur Sprechangst wird.
Deswegen habe ich zu diesem Thema auch meine Masterarbeit geschrieben: verbunden mit der Frage, wie sich Redeangst durch achtsamkeitsbasierte Methoden reduzieren lässt.
Denn die Arbeit mit Achtsamkeit halte ich für ein sehr zielführendes Mittel im Umgang mit Lampenfieber und Sprechangst.
Sprechangst ist die am häufigsten auftretende Angst.
Sprechangst, auch Redeangst genannt, gilt als die am häufigsten vorkommende Angst und gehört zu den Sozialängsten. Es ist eine Beklemmung, die in Gegenwart anderer Personen auftritt, weil wir uns selbst als ein soziales Subjekt wahrnehmen.
Die Anwesenheit anderer Personen verändert den Blick auf uns selbst: plötzlich ist es uns wichtiger, wie wir wahrgenommen werden und wirken.
Im Unterschied zu anderen Ängsten tritt die Redeangst oft unabhängig von anderen Ängsten auf. Verschiedenen Studien zufolge leiden 40-50% der Bevölkerung darunter.
Sprechangst ist eine relativ starke Angst oder Unsicherheit in Situationen, die Reden vor einem Publikum erfordert. Sie tritt speziell rund um öffentliche Rede-Situationen auf. Plötzlich ist da die starke Befürchtung, nicht so kommunizieren zu können, wie man eigentlich möchte.
Flucht oder Vermeidung als Reaktionen auf Redeangst
Betroffene erleben Angst, Belastungen oder Gefühle starker Beunruhigung im Zusammenhang mit einer tatsächlichen oder auch nur vorgestellten Sprechsituation vor Publikum. Das kann bis zu Flucht- oder Vermeidungsverhalten führen: die normale Reaktion auf großen Stress.
Die Begriffe Sprechangst und Lampenfieber werden dennoch oft nahezu synonym verwendet. Vielen Menschen fällt sicher der Umgang und die Selbstbeschreibung mit dem Begriff Lampenfieber leichter, als die Diagnose Redeangst.
Gerade am Beginn einer Auseinandersetzung mit den eigenen Sprechängsten kann es sogar erleichtern, über Lampenfieber und Nervosität zu sprechen, als über Angst.
Sprechangst tritt in unterschiedlichen Abstufungen auf.
Sprechängste unterscheiden sich sehr stark von Mensch zu Mensch – und sogar von Situation zu Situation. Wer in der einen Situation vor Angst keinen Fuß auf die Bühne setzt, spricht vor einem anderen Publikum in einem veränderten Kontext vielleicht sogar mit Freude. Die eine Angst gibt es denn auch nicht.
Im therapeutischen Kontext wird Sprechangst analysiert, indem ein Zusammenhang zwischen Sprechen und Angst hergestellt wird. Dabei werden auch Situations- und Persönlichkeitsmerkmale in die Betrachtung einbezogen, um ein möglichst komplettes Bild zu erhalten.
Wie Redeangst gemessen werden kann
Sprechangst kann über standardisierte Fragebögen erfasst werden. Physiologische Reaktionen lassen sich messen. Besonders wirkungsvoll ist auch die Beobachtung des Verhaltens, bei der das Augenmerk auf den sichtbaren und hörbaren Symptomen der Sprechangst liegt.
Je häufiger Sprechsituationen vermieden werden und je größer der subjektiv empfundene Leidensdruck, desto ausgeprägter ist die Sprechangst.
Lampenfieber: Ein Begriff aus dem Bühnenjargon
Der Begriff Lampenfieber stammt ursprünglich aus dem Bühnenjargon: er verweist auf die unten an der Rampe, der vorderen Bühnenkante, angebrachten Lampen.
Durch diese Rampenbeleuchtung wurden die Schauspieler für das Publikum sichtbar – in einer Zeit, in der es noch keine Scheinwerfer gab, wie wir sie heute kennen. Lampenfieber beschreibt die Aufregung vor einem öffentlichen Auftreten.
Oft ist der Begriff Lampenfieber, der in einer weiten Interpretationsspanne verwendet wird, positiv belegt: „auf etwas Hinfiebern“ verweist ja auf ein freudiges Ereignis. Assoziiert man aber Fieber als Krankheitszeichen, wird es schnell zu etwas Negativem.
Lampenfieber ist ein positives Zeichen.
Immer ist Lampenfieber aber mit dem Auftreten vor einem Publikum verbunden: ob als Sänger*in, Schauspieler*in, Musiker*in – oder eben als Redner*in. Also bei alle Arten von Bühnensituationen.
Ich habe den Eindruck, dass Lampenfieber gerade im Theater-Kontext mehrheitlich positiv besetzt ist und als Zeichen dafür gewertet wird, dass im Moment des Auftritts die Sinne auch richtig funktionieren. Im Falle eines Bühnenauftritts kann Routine nämlich schnell gefährlich sein.
Angst ist nur eine Komponente von Lampenfieber.
Vielleicht kann man Lampenfieber als eine Mischung sehen: aus Angst und Hochgefühl. Ein Mix, der in seiner optimalen Ausprägung zu Ausdrucksstärke, Brillanz und Konzentration führt.
Ja, Angst ist eine Komponente davon – aber nur eine: die freudigen, erwartungsvollen und aktivierenden Aspekte gibt es eben auch. Bei Redeangst hingegen übersteigt die angstbesetzte Qualität die aktivierende bei Weitem.